Wie kam es, dass Sie sich mit der Biografie einer deutschen Widerstandskämpferin in der französischen Résistance befasst haben?
Das war ein großer Zufall. Während meines Geschichtsstudiums hatte ich ein Buch über Internierungslager gelesen, die seit Ende der 1930er-Jahre vor allem im Süden Frankreichs für »feindliche Ausländer« errichtet worden waren. Das Buch befasste sich mit dem Frauenlager in Brens und enthielt knappe biografische Angaben, unter anderem über Dora Schaul.
Woher kam Ihr Interesse an deutscher Geschichte und deutsch-französischen Themen?
Ich bin in der Bretagne aufgewachsen, weit weg von der deutsch-französischen Grenze. Mein Vater hatte allerdings eine große Leidenschaft für die deutsche Sprache und Deutschland, die er meiner Schwester und mir weitergegeben hat. Er wollte unbedingt, dass wir als erste Fremdsprache Deutsch lernen, was wohl mit unserer Familiengeschichte zu tun hat: Mein Urgroßvater war nämlich im Ersten Weltkrieg einige Jahre Kriegsgefangener auf einem Bauernhof in Deutschland und hat sich später, so merkwürdig das klingt, immer sehr anerkennend über die Familie, in der er lebte, geäußert. Im Gegensatz zu vielen anderen Franzosen waren die Deutschen in meiner Familie mit positiven Erinnerungen verbunden.
Sodass Sie fast automatisch zum Deutschlernen kamen?
Ich habe als 11-Jährige begonnen und bin später extra in Rennes, drei Stunden entfernt von meinem Heimatort, aufs Gymnasium gegangen, weil ich dort das Deutsch-Französische Abitur ablegen konnte. Ich hatte aber auch sehr gute Deutschlehrer, die ihre Schülerinnen und Schülern enorm motiviert haben. Und in der 8. und 9. Klasse konnte ich an einem Austausch mit einer Schule in Wittmund teilnehmen. Meine erste Deutschlanderfahrung war Ostfriesland.

Sterenn Le Berre
arbeitet in Frankreich im Ministerium für Erziehung, Jugend und Sport im Bereich des internationalen Jugendaustauschs.
Mehr über das Programm
Hier gibt es alle Informationen über das Programm für Fremdsprachenassistenz
Wie haben Sie den Unterricht wahrgenommen?
Mir ist aufgefallen, dass das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern ein anderes ist. In Deutschland begegnen sich beide auf Augenhöhe. In Frankreich dagegen besteht eine größere Distanz. Erstaunt war ich auch darüber, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht essen und trinken können oder mit dem Lehrer verhandeln, wenn zum Beispiel eine Klassenarbeit ansteht und sie meinen, sie hätten schon zu viele Prüfungen. Das wäre in Frankreich nicht denkbar. Wenn der Lehrer dort sagt, dass es morgen einen Test gibt, dann gibt es ihn. Anfangs war ich deshalb unsicher, wie mein Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern aussehen sollte. Als Fremdsprachenassistentin war es nicht immer einfach, die eigene Position in der Klasse zu finden. Ich war ja keine Lehrerin und, was das Alter betrifft, nahe an den Schülerinnen und Schülern.
Hat sich in Bielefeld auch Ihr Blick auf Deutschland geändert?
Das kam stärker durch das Studium. Eine Kommilitonin zum Beispiel, mit der ich mich angefreundet hatte und die in Rostock geboren war, hat mit viel über ihr Alltagsleben in den 1980er-Jahren in Ostdeutschland erzählt. Bis dahin kannte ich vor allem die Perspektive der Geschichtsschreibung des Westens. Und das häufigste Wort, das ich in Zusammenhang mit der DDR gelesen hatte, war »Diktatur«. Die Gespräche haben mir einen anderen Blick für den Alltag der Menschen in der DDR vermittelt und ich habe gelernt, Dinge nuancierter zu betrachten.
- Etwa zum Thema »Frauenrechte« und dem Platz der Frauen in der Gesellschaft. In der DDR war es, anders als in Westdeutschland, üblich, dass Frauen berufstätig waren, so wie ich das aus Frankreich kannte. Der Begriff »Rabenmutter« existierte dort nicht.
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Zur Person
Sterenn hat u.a. an der Uni Bielefeld im Nebenfach Deutsch als Fremdsprache studiert.
Was haben Sie als Fremdsprachenassistentin gelernt, wovon Sie heute noch profitieren?
Die Art und Weise, wie die Lehrkräfte unterrichten, war für mich bereichernd und inspirierend. Die Schülerinnen und Schüler lernen hier sehr früh, in Gruppen zu arbeiten. In Frankeich dagegen gibt es noch mehr Frontalunterricht. Und natürlich habe ich meine Deutschkenntnisse verbessert. Ich habe meine Schülerinnen und Schüler immer gebeten, mich zu korrigieren, wenn ich etwas falsch ausspreche.