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„Mein Deutsch ist besser als mein Cherokee“

Als Teilnehmer des Internationalen Preisträgerprogramms vor über 20 Jahren schaute Benjamin Frey deutschen Dialektsprechern auf den Mund. Als Sprachwissenschaftler an der University of North Carolina geht er heute den Spuren des Cherokee nach.

Fantasyromane beflügeln

Erhabene Burganlagen vor mittelalterlichem Stadtbild mit mächtigen Wehrtürmen, prunkvollen Fachwerkhäusern und manch düsterer Seitengasse ‒ als Jugendlicher ließ Benjamin Frey seine Fantasie über vergangene Epochen vor allem durch Fantasyromane beflügeln: „Ich hatte wohl eine romantische Ader und habe solche Bücher verschlungen“, erinnert sich der 37-Jährige, der heute als Sprachwissenschaftler an der University of North Carolina in Chapel Hill unter anderem Deutsch unterrichtet. Dass solche historischen Ensembles nicht nur die Kulisse literarischer Traumwelten abgeben, sondern zahlreiche Städte und Kulturräume des europäischen Kontinents prägen, war ihm damals zwar bewusst, dass er als Jugendlicher aber einmal solche Landschaften in Deutschland selbst erkunden würde, das verdankt er seinen ausgezeichneten Deutschkenntnissen und dem Internationalen Preisträgerprogramm des PAD.

Zum Studium der Sprache motiviert hatte ihn sein Vater, ein Arzt. Der lernte Anfang der 1980er-Jahre, als die Familie in Alabama lebte, Christian Strauss kennen, einen jungen Famulanten aus Erlangen. Beide freundeten sich an und blieben nach dessen Rückkehr in Kontakt. „Da ich wusste, dass Freunde meiner Familie in Deutschland leben, hat das meinen Ehrgeiz geweckt“, sagt Benjamin Frey. Ein glücklicher Zufall war zudem, dass ihn das Preisträgerstipendium, für das er sich im Jahr 2000 qualifiziert hatte, nach Lauf an der Pegnitz im Frankenland verschlug. Der historische Stadtkern mit seinen Türmen und Fachwerkhäusern erinnert noch heute an die wirtschaftliche Blüte im Mittelalter, als eine wichtige Handelsstraße zwischen Frankfurt und Prag durch die Stadt führte. Nicht weniger eindrucksvoll war zugleich das nahe gelegene Nürnberg, dessen Kaiserburg zu den bedeutendsten Wehranlagen Europas zählt. Dass die Preisträger bei ihren Stadterkundungen in einem der vielen Traditionslokale auch die für Nürnberg typischen Bratwürsten probierten, versteht sich von selbst. „Und natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, Familie Strauss zu besuchen“, sagt Benjamin Frey.

Porträtbild Benjamin

 

Benjamin Frey hat 2000 am Programm teilgenommen. Heute lehrt er am Fachbereich Amerikanistik und Sprachwissenschaft der University of North Carolina in Chapel Hill.

  • Preisträgerprogramm

    Wenn schon, denn schon ...

    Jede Sprache hat ihre eigenen Redewendungen, welche auch Einblicken in die Mentalität und Kultur der Menschen geben können, die sie sprechen: „Wenn schon, denn schon“ ist eine von Benjamins Lieblingsredewendungen. Das sagt er auf Deutsch oft zu sich selbst, auch wenn man anderen die Bedeutung nur schwer erklären kann.

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Deutsche Dialekte

Vor allem aber nahmen er und die anderen Preisträgerinnen und Preisträger aus den USA am Unterricht am Albrecht-Dürer-Gymnasium teil und lernten so den Schulalltag in Deutschland kennen. Dass die einzelnen Fächer auf ein akademisches Studium vorbereiten, war für ihn eine der aufschlussreichsten Beobachtungen dabei. Einiges abgewinnen konnte er auch dem Umstand, dass der Unterricht zeitiger am Morgen beginnt, dafür aber früher am Nachmittag endet, so dass mehr Zeit für Hobbys und Freizeitaktivitäten bleibt. Die kamen während seines Besuchs nicht zu kurz: Neben sportlichem Wettstreit und Grillpartys organisierten seine Gastgeber eine Talentshow, bei der er sich als Schlagzeuger ausprobieren konnte.

Eine Karriere als Musiker hat sich daran zwar nicht angeschlossen. Umso mehr weckte der Deutschlandbesuch aber sein Interesse an den Eigenheiten von Sprachen und Dialekten. Aus Franken blieb ihm das »rollende R« im Ohr. „Das hat mir ausgesprochen gut gefallen, weil es mich an Jeff Foxworthy erinnert hat, einen bekannten Komiker in den USA, der Dialekte imitiert.“ Was er kurz darauf während einer Exkursion in die Hauptstadt von einem waschechten Berliner zu hören bekam, blieb ihm dagegen unverständlich. Einige Jahre später in Tübingen, wo er ein Semester Germanistik und Sprachwissenschaft studierte, konnte er zudem ins Schwäbische eintauchen. Damals fiel ihm auch auf, dass Dialekte hierzulande einen anderen Stellenwert haben. „Ich fand es sehr aufschlussreich, dass viele Deutsche ihren Dialekt nicht als etwas Minderwertiges betrachten, sondern selbstbewusst sprechen und sogar in selbstironischer Weise im Marketing verwenden“, sagt er und erinnert an die damalige Kampagne des Landes Baden-Württemberg, wonach die Menschen dort alles könnten, außer Hochdeutsch.

 

Weshalb wird eine Sprache verdrängt

Es überrascht deshalb nicht, dass Benjamin Frey sich in seinen sprachwissenschaftlichen Forschungen erst an der Universität von Wisconsin-Madison und seit 2013 als Assistenzprofessor an der University of North Carolina in Chapel Hill weiter mit diesen Phänomenen beschäftigt hat. Eine besondere Leidenschaft entwickelte er dabei für die Sprachen und Dialekte der indigenen Bevölkerungsgruppen auf dem nordamerikanischen Kontinent, die schon Jahrtausende vor den ersten Eroberern und Siedlern aus Europa dort lebten. Sein Interesse gilt vor allem der Frage, warum diese innerhalb weniger Jahrzehnte verdrängt wurden und weshalb Englisch sich, gegen andere Sprachen der Zuwanderer, durchsetzen konnte. In seiner Dissertation verglich er diesen Prozess am Beispiel der einst deutschsprachigen Gemeinden im östlichen Wisconsin mit dem Cherokee, wie es im westlichen North Carolina gesprochen wurde. Seine daraus entwickelte Theorie zu den Ursachen dieser Sprachverschiebung sollte zugleich Anhaltspunkte liefern, wie sich die Sprache der Cherokee wiederbeleben ließe. Dass ihn dabei vor allem der Kituwah-Dialekt fasziniert, ist auf seine eigenen Wurzeln zurückzuführen. Eine Großmutter nämlich stammt aus dieser Volksgruppe. Doch ihren Dialekt beherrschen heute nur noch einige hundert Menschen. „Unsere Sprache steht vor dem Aussterben", bedauert Benjamin Frey, was auch darauf zurückzuführen sei, dass sie im öffentlichen Raum lange Zeit als verpönt galt: „Meine Großeltern wurden bestraft, wenn sie Cherokee sprachen. Wohl deshalb haben sie sich gescheut, die Sprache weiterzugeben“, erinnert er sich.

Kaffeerunde auf Cherokee

Ein Anliegen ist es ihm deshalb, dass das Wissen um diese Sprache nicht verloren geht: „Nachdem ich herausgefunden hatte, wie einfach es ist, Deutsch zu lernen, habe ich begonnen, mir selbst Cherokee beizubringen.“ Einen Sommer lang lauschte er seinerzeit einem Onkel, der die Sprache noch gut beherrscht. Das so zusammengetragene Material wurde die Grundlage für ein Wörterbuch der Cherokee-Sprache, an dem er seitdem arbeitet und durch das er selbst viel dazulernt: „Mein Deutsch ist besser als mein Cherokee“, sagt er. An der Universität bietet er zudem Kurse an, für die sich immer wieder interessierte Studierende finden: Sei es, weil sie sich selbst als „Native Americans“ bezeichnen und die Sprache als Teil ihrer Identität betrachten. Sei es, weil sie als angehende Linguisten neugierig sind, zu erkennen, wie eine Sprache funktioniert. Während des Semesters lädt er auch regelmäßig zu „AniKahwi“ ein, einer Kaffeerunde auf Cherokee. Damit will er zeigen, dass eine ganz alltägliche Kommunikation möglich ist. Mit einem Kollegen seiner Fakultät hat er außerdem eine Initiative gestartet, die etwa Restaurantbetreiber ermutigen soll, ihre Speisekarte zusätzlich in Cherokee auszuzeichnen. Und gemeinsam mit einem Musikwissenschaftler lud er einen Hip-Hop-Künstler an Schulen ein, um in der Sprache der Vorfahren zu musizieren.

Hinter diesen Initiativen steht die Idee, Cherokee wiederzubeleben. Mit all dem will Benjamin Frey allerdings auch vermitteln, dass das Erlernen einer Sprache Spaß macht und Türen öffnet. Sein Ratschlag, den er künftigen Preisträgern mit auf den Weg geben möchte, ist denn klar: „Die Mühen lohnen sich, weil Sprache die Kommunikation mit anderen Menschen und den Austausch mit anderen Kulturen ermöglicht“, erklärt er und bricht eine Lanze für die Sprache, auf die er selbst als Jugendlicher gestoßen wurde: Wer Deutsch kann, hat er beobachtet, lernt andere Sprachen der germanischen Sprachgruppe leicht. Dass das anfangs nicht immer fehlerfrei klappt, davon sollte sich keiner abschrecken lassen. Sein Tipp lautet deshalb: „Lebt die Sprache und seid nicht schüchtern beim Reden.“